Zenderscher in der Zerstreuung

Die sächsischen Bewohner von Zendersch wurden ebenso wie die der Nachbargemeinden Rode, Felldorf, Maniersch und Zuckmantel am 8./9. September 1944 innerhalb weniger Stunden von der damaligen deutschen Wehrmacht zwangsevakuiert – für drei Tage, wie es hieß. Im Treck ging es mit Fuhrwerken über die damals nahe rumänisch-ungarische Grenze nach Sächsisch Regen und von dort mit dem Zug viele Wochen lang nach Westen. In Österreich oder Deutschland wurden die Evakuierten in Lagern untergebracht. Nach dem Ende des Krieges im Mai 1945 fand sich ein Teil im sowjetischen Hoheitsgebiet, ein anderer in der amerikanischen und britischen Zone wieder. Die sowjetischen Behörden repatriierten die Flüchtlinge, so kehrte ein Drittel der ehemaligen sächsischen Bewohner von Zendersch zurück, die übrigen blieben in Deutschland und Österreich. Beide Gruppen „schrieben“ während des „Kalten Krieges“ ihre je eigene Geschichte – die eine „daheim“ in Zendersch, die andere im Westen.

 

Nach mancherlei Wanderungen – innerhalb Deutschlands oder nach draußen, bis nach Australien, USA und Kanada – stabilisierten sich die Zenderscher im Westen und siedelten sich in räumlichen Zentren um Stuttgart und Nürnberg herum sowie in Oberösterreich an. Diese Kristallisationen entstanden ohne staatliche Lenkung, sondern eher zufällig: In der fremden Umwelt suchte man einen Arbeitsplatz und den vertrauten Landsmann. Die neuen Möglichkeiten zum Besuch der alten Heimat in den 60er Jahren wurden wahrgenommen. Auf diese Weise kamen Informationen nach Zendersch, die –ungewollt und damals unerkannt – allmählich den Wunsch nach Auswanderung weckten, der sich im Laufe der Jahre verstärkte. Er endete schließlich in der Umwandlung des sächsischen Zendersch in das heute rumänische Senereus. Die systematische Sammlung der Zenderscher in der Zerstreuung begann relativ spät. Mit dem Tod der Vorkriegs- und Kriegsgeneration wurde einigen Zenderschern der Bruch bewusst, den sie erlebten: Wird alles bald vergessen sein, was einst Sinn machte? Sollte man darüber nachdenken und Erin­nerungen für die Jüngeren festhalten? Würden sie sich überhaupt dafür interessieren? Zu den ersten, die kritisch nachdachten und sich engagierten, gehörten Georg und Renate Weber sowie Hans und Elfriede Feinweber. Die organisatorische Initiative ergriffen 1975 die beiden Webers aus Münster/ Westf.

 

Bereits im März 1976 verschickten sie einen ersten Rundbrief an 50 Regionalvertreter in Deutsch­land, Österreich, Schweiz, USA, Kanada und Australien. Am 20.8.1976 wurde ein Organisations­komitee gegründet, in dessen Händen die Verantwortung für Organisation und Durchführung des ersten großen Treffens liegen sollte. Es bestand aus 19 überwiegend in Sachsenheim und der näheren Umgebung ansässigen Zenderschern; auch angeheiratete Zenderscher arbeiteten mit. Je nach Kenntnis und Erfahrung übernahm jeder eine Aufgabe für das Vorhaben eines ersten „Welttreffens“.

 

Eine wichtige Voraussetzung für das erste Zenderscher Treffen war das Sammeln von Anschriften der Zenderscher in aller Welt und das Anlegen einer Adressenkartei. Mit Hilfe von Regionalvertretern wurde ein Adressenverzeichnis erstellt und in der Folgezeit immer wieder aktualisiert. Diese aufwendige Kleinarbeit findet bis zum heutigen Tage ihren Niederschlag im „Anschriftenverzeichnis der Zenderscher in der Zerstreuung“, herausgegeben von Georg und Renate Weber/Münster. Es ist eine wichtige Hilfe für die Kommunikation der Zenderscher untereinander.

 

Die ersten beiden Zenderscher Treffen fanden 1977 und 1982 in Sachsenheim statt; die folgenden 1987, 1993 und 1998 im Nachbarort Sersheim, wo eine größere Halle zur Verfügung steht.

 

„Das erste Zenderscher Treffen war ein einschneidendes Ereignis für alle Teilnehmer“, berichtet Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Weber in seinem 4. Rundbrief an die Zenderscher in der ganzen Welt. Um die Gemeinschaft der Zenderscher auch weiterhin zu stärken und zu fördern, um Tradition und Brauchtum nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen und um uns zu unserer Herkunft und Vergangenheit zu bekennen, gab es – wie schon erwähnt – weitere vier Treffen.

 

In insgesamt 19 Rundbriefen („Det Zenderscher Zichen“), herausgegeben von Georg und Renate Weber/Münster finden sich viele wertvolle Informationen und Vorträge, z.B. „Zenderscher in der Zerstreuung - Chronik einer Spurensuche“ von Georg Weber, „Zendersch in Vergangenheit und Gegenwart“ von Prof. Dr. Dr. h.c. Paul Philippi, „Spätaussiedler - Wanderer zwischen zwei Welten ?“ von Prof. Dr. Andreas Möckel oder „Zur Geschichte der Familiennamen in Zendersch“ von Dr. Renate Weber. Außerdem enthalten die Rundbriefe an die Zenderscher Geschichtliches, Literarisches, Berichte über Brauchtum sowie Familiennachrichten.

 

Mit der Abfassung eines umfangreichen Werkes unter dem Titel „Zendersch – eine siebenbürgische Gemeinde im Wandel“ von Georg Renate Weber (München 1985) wurde den Zenderschern eine wertvolle wissenschaftliche Dokumentation über ihre Heimatgemeinde, ein informatives Heimatbuch und eine Zusammenfassung ihrer unverwechselbaren Vergangenheit in die Hand gegeben. Diese Ortsmonografie ist von vielen Verfassern von Ortsgeschichten anderer siebenbürgisch-sächsischer Gemeinden als Modellvorlage herangezogen worden. Eine weitere Informationsquelle über Zendersch bietet das „Heimatbuch von Zendersch, einer Ge­meinde im siebenbürgischen Weinland“ (Hainburg 1977) von Friedrich Wilhelm Schuller. Es gewährt Einblick in das Alltagsleben und das Wirken einer lebendigen Gemeinschaft vor 1945.

 

Interessant wäre eine Nachuntersuchung zu den Ergebnissen von Georg und Renate Weber über die weitere Entwicklung der Zenderscher in der Zerstreuung, z.B. ihre räumliche Mobilität, ihr beruflicher Aufstieg, ihre soziale Einbindung in die deutsche Gesellschaft – und das alles im Vergleich zu anderen Gemeinden.

 

Prof. Dr.Dr. h.c. Georg Weber